Paul Bieber – Eiskalter Typ: Ein Interview mit dem deutschen Rekordhalter im Eisschwimmen
„Ich dachte mir: Wie bekloppt ist das denn eigentlich?! Aber irgendwie hat es mich auch angefixt...“ (Paul Bieber, 2022)
Unser Outdooractive-Kollege Paul hat eine wirklich ausgefallene Leidenschaft: Er schwimmt auf Rekordniveau im eiskalten Wasser. Wie kommt man auf so eine Idee und kann das jeder? Paul verrät uns im Interview viel Wissenswertes über sein verrücktes Hobby und gibt uns einen ganz persönlichen Einblick in sein Leben.
Was ist denn eigentlich Eisschwimmen genau?
Das Schwimmen im unter 5 Grad kalten Wasser nennt man Eisschwimmen. Es gibt verschiedene Formen im Wettbewerb, von der Kurzdistanz bis zum Langdistanz-Schwimmen. Außerdem gibt es dann noch die Königsdisziplin „Eismeile“ über 1,6 Kilometer. Alles darüber hinaus wird „extreme Eismeile“ genannt.
Eigentlich ist dieser Sport noch nicht so lange offiziell. Die „INTERNATIONAL ICE SWIMMING ASSOCIATION“, IISA, wurde erst 2009 gegründet und hat bestimmte Standards und Voraussetzungen für das Wettbewerb-Eisschwimmen gesetzt, zum Beispiel bei der Ausrüstung (Silikonkappe, Schwimmbrille, normale Badekleidung, Boje). Und dann gibt es natürlich noch die einzelnen Landesverbände mit ihren Schwimmerinnen und Schwimmern.
Wo geschwommen wird ist nicht relevant. Hauptsache es ist kalt genug. Ich persönlich schwimme die Distanzen meistens in den Seen meiner Heimatregion, wie im Bodensee oder im Großen Alpsee. Selten auch im Pool.
Der Große Alpsee liegt im Allgäu, nordwestlich von Immenstadt. In den Sommermonaten ist der größte ...
Was vielleicht nicht jedem bewusst ist: Auch die Außentemperatur hat beim Eisschwimmen große Auswirkungen. Wenn die Luft sehr kalt ist, kann es passieren, dass die Finger zufrieren. Beim Kraulen bilden sich dann sofort Eiskristalle um die einzelnen Glieder, wenn die Hand das Wasser verlässt. Ich weiß genau, was mich erwartet, wenn ich mit so einer Session fertig bin: Es wird höllisch weh tun! Das war bei mir vor zwei Wochen so, bei minus 4 Grad draußen.
Du hast bereits zweimal den deutschen Rekord im Eisschwimmen gebrochen. Was heißt das in Zahlen?
Vor jeder Eismeilensaison gibt es ein Qualifikationsschwimmen. Das war bei mir damals im Sonthofener See. Bei 6,5 Grad Wassertemperatur bin ich locker 2000 Meter geschwommen. Ich wusste, dass der deutsche Distanzrekord bei 2200 Metern lag, und war guter Dinge ihn zu knacken. Und das hat dann 2021 auch tatsächlich geklappt.
Es gab dann noch die Deutsche Meisterschaft im Eisschwimmen, bei der ich 5-facher Deutscher Meister geworden bin. Das waren alles Kurzdistanzen und noch vor meiner offiziellen Eismeilenzeit. Erst nachdem ich das alles erreicht hatte, kam ich zu den Eismeilen. Ich habe mir selbst neue Herausforderungen gesucht.
Eismeilenschwimmen ist jetzt nicht so populär. Bis Ende 2022 sind erst 478 SchwimmerInnen überhaupt Eismeilen geschwommen. Und wenn ich mir das nur in Deutschland herauspicke, dann waren es bisher nur 22 Leute, die es je offiziell gemacht haben. 12 Männer, 10 Frauen.
Bei mir sind es bisher übrigens 7 Eismeilen, die ich in den letzten zwei Jahren geschwommen bin.
Wie kommt man denn auf die Idee, im Eiswasser zu schwimmen? Was fasziniert dich an diesem Sport?
Vorher habe ich Wettkämpfe im Sportholzfällen gemacht. Und dann kam irgendwann der Allgäuer Eisschwimmer Hamza Bakircioglu auf mich zu und erzählte mir, dass er Langdistanz-Eisschwimmen auf Weltrekordniveau betreibe. Für mich als ehemaligen Pool-Schwimmer war das unvorstellbar. Wie kann man bei diesen Temperaturen überhaupt schwimmen?! Aber neugierig machte mich das schon.
Nicht viel später schrieb ich ihn an und fragte ihn, ob ich mir das Ganze einmal live anschauen dürfte. Er antwortete: „Du schaust dir das nicht nur live an, wir treffen uns nächste Woche und schwimmen gemeinsam!“ Und so bin ich im Sonthofener See meine ersten 100 Meter geschwommen und dachte mir, „Wie bekloppt ist das denn eigentlich?!“ Aber irgendwie hat es mich auch angefixt.
Der idyllisch gelegene Baggersee ist Sommer wie Winter ein beliebtes Ausflugsziel in Sonthofen.
Hamza hat mich bestätigt, er hat mich direkt bei der Deutschen Meisterschaft gesehen. Dank seiner Motivation bin ich dort mitgeschwommen, habe aber noch nicht wirklich was gerissen: Ich bin zweiter geworden. Aber schon im Jahr darauf konnte ich dann den fünffachen Rekord holen. Hamza war also eigentlich der Treiber, durch ihn habe ich das Eisschwimmen angefangen.
Viele Menschen beschreiben: Wenn ich ins Eiswasser gehe, fühlt es sich im ersten Moment fast so an, als würde mein Herz stehen bleiben. Geht dir das auch so? Wie gefährlich ist das Eisschwimmen?
Tatsächlich kann das ein Thema sein: Herzinfarkt ist definitiv ein Risiko, das nicht wirklich absehbar ist, das kann immer passieren. Daher sage ich: Geht nicht einfach mal so ins Eiswasser, sondern tastet euch an die Sache heran. Ich halte ehrlicherweise sehr wenig von dem spontanen und sporadischen Eisbaden-Trend, denn man sollte sich wirklich erstmal an die niedrigen Wassertemperaturen gewöhnen. Vom Sommer in den Herbst und vom Herbst in den Winter. So stellt sich der Körper darauf ein und auch dein Herz trainiert sich anders. Ich lasse mich aber auch immer wieder vom Uniklinikum Ulm durchchecken und mir das „Go“ von meinen Ärzten geben.
Aber den „Schockmoment“, den habe ich auch jedes Mal. Das wird man nicht los, denn der Körper schaltet in dem Moment auf Überlebensmodus. Wenn ich ins Wasser gehe, spüre ich auch jedes Mal diese tausend Nadelstiche, die bestimmt allen bekannt sind. Aber nur für die ersten 30-45 Sekunden.
Irgendwann hört es dann auf und dann ist es eher so eine Art gleichbleibender Schmerz, den ich versuchen muss, mental zu ertragen. Sobald ich das Gefühl habe, ich muss jetzt raus, oder Zweifel aufkommen an dem, was ich gerade tue, schaltet auch der Körper um. Und dann muss man wirklich raus.
Wie bereitest du dich mental auf deine Eismeilen vor und worauf setzt du deinen Fokus, wenn du im Eiswasser bist? Ich kann mir keinen größeren Schweinehund vorstellen, als den, jedes Mal aufs Neue in eiskaltes Wasser zu steigen.
Ich bereite mich wirklich intensiv darauf vor. Schon eineinhalb Stunden bevor ich ins Wasser gehe, stelle ich mich visuell Schritt für Schritt darauf ein: Wie setze ich meine Bademütze auf, wie meine Schwimmbrille, habe ich das Antifog drauf, hab ich die Boje dabei. Wie ist es, wenn ich reingehe? Ich gehe auf das Wasser zu, gehe rein, was erwartet mich? Ich sehe das ganze Szenario von oben und spiele alles einmal davor im Kopf durch. Bei diesem Extremsport muss man sich eben auch auf die Extreme vorbereiten.
Wenn ich das Wasser betrete und es losgeht, konzentriere ich mich nur auf meine Atmung und darauf, was mich erwartet. Ich gaukele mir aber auch selbst vor: „So kalt ist es ja gar nicht… fühlt sich gut an!“. So trickse ich meinen Körper aus und sehe das ganze positiv. Wenn ich dann schwimme, nehme ich um mich herum nichts mehr wahr. Ich bin so im Tunnel und fokussiert, da kriege ich wirklich sonst nichts mehr mit.
Wie genau sieht denn dein Training fürs Eisschwimmen aus? Trainierst du überwiegend deine Kondition oder deine Technik und Atmung? Und was machst du eigentlich im Sommer?
Ich war schon immer Schwimmer, daher muss ich die Kraultechnik nicht mehr wirklich trainieren. Aber die Ausdauer ist ein Thema. Die Eisschwimm-Saison geht meist bis Ende Februar. Danach mache ich im März und April wirklich gar nichts und gehe dann zu meiner eigentlichen Leidenschaft über: dem Rennradfahren. Das spielt sich natürlich gegenseitig in die Karten, denn bei beidem wird auch die Ausdauer trainiert. Rennrad fahre ich bis in den November hinein, bis dann das Eisschwimmen auch schon bald wieder möglich ist.
Im Sommer schwimme ich tatsächlich eher nicht so viel. Höchstens etwas Krafttraining im Wasser. Aber ich hänge mich da nicht so richtig rein. Diese Pause tut gut und sie ist auch nötig. Was aber im letzten Winter tatsächlich auch noch mit dazu gehörte, war meine Ernährungsumstellung. Ich habe 12 Kilo zugenommen, um die Eismeilen schwimmen zu können.
Nach dieser Vorbereitungszeit bin ich wöchentlich Eismeilen geschwommen, das merkt man dann schon. Zum Ende hin war ich echt fertig und froh, als die Saison rum war. Das Schwimmen belastet vor allem mental noch eine ganze Weile. Fünf Eismeilen in einer Wintersaison wie letztes Jahr waren schon heavy.
Wurde es bei dir eigentlich mal brenzlig?
Im 2. Jahr bei der Deutschen Meisterschaft, 200 Meter Freistil, da bin ich übers Limit gegangen.
Das lag unter anderem daran, dass ich die ganze Sache etwas zu leicht angegangen bin. Irgendwie dachte ich, das schwimm ich jetzt mal schnell. Aber ich habe es echt unterschätzt. Die Wassertemperatur hatte damals auch nur 1,6 Grad und nach 125 Metern hab ich auf einmal nichts mehr gesehen. Auf einmal kam ein schwarzer Schleier von rechts und ich wusste, okay, gleich zieht es mir jetzt die Schuhe aus, mein Kreislauf macht schlapp. Ich habe noch schnell den Arm hoch heben können, so dass der Rettungsschwimmer am Rand wusste, er muss mich jetzt gleich retten. Er war auch ruckzuck da und hat mich rausgezogen. Ich kam in den Rettungswagen, wurde wieder aufgewärmt, mein Kreislauf wurde stabilisiert und dann war alles wieder gut.
Aber das finde ich auch das Schwierige an Kurzdistanzen: Wie weit gehst du ans Limit, so dass du dir gerade noch nicht den Stecker ziehst? Sprints gehen einfach viel mehr aufs Herz, weil die Gefahr größer ist, übers Ziel hinauszuschießen. Auf Langdistanzen schwimmst du dein eigenes Tempo und bist achtsamer.
Was ist dein nächstes großes Ziel? Wie geht es mit deiner Karriere weiter?
Ich muss momentan Medikamente nehmen, weil ich gesundheitlich nicht auf dem Damm bin. Ich lasse mich gerade auch von der Uniklinik Ulm beim Schwimmen beobachten und lasse Blut und Herz untersuchen. Das Ganze zieht sich. Mir geht es also erstmal darum, dass ich wieder richtig mit dem Training anfangen kann. Wenn alles gut läuft, starte ich im Januar in die Saison.
Wäre ich bereits schon im Dezember mit Training und Eismeilenschwimmen eingestiegen, hätte ich auf Rekordjagd gehen können, aber so wird das eng. Ich muss jetzt auf mich und die Ärzte hören und dann dementsprechend reagieren. So werden sich die Rekorde dann wohl auf nächstes Jahr verlagern.
Die Zeit, in der ich noch Eismeilen schwimmen möchte, verschiebt sich so natürlich auch. Wahrscheinlich mache ich den Sport noch zwei Jahre, denn ich habe schon noch große Ziele. Zwei weitere Weltrekorde wären schön: Die meisten Eismeilen insgesamt und dann 4 Eismeilen in 24 Stunden. Aber mental und körperlich ist das dieses Jahr einfach nicht drin.
Mein Plan ist aber trotzdem, diesen Winter bei der WM in Bled zu starten, also auf Kurzdistanz. Aber dann mehr just for fun, weil ich halt null trainieren konnte und körperlich gucken muss, wie ich das schaffe.
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